Familienzentren
Hintergrund für die Positionierung des Bundesverbands der Familienzentren e.V. zum Thema Familienzentren ist zum einen die positive Entwicklung und Verbreitung von Zentren für Familien in ganz Deutschland. Zum anderen will der Verband angesichts der immer vielfältigeren Begriffsverwendung für Zentren, die sich dezidiert für Familien in einem bestimmten Sozialraum engagieren, eine Richtung und Position im Sinne der Wirkungsorientierung anbieten…
Der Bundesverband der Familienzentren versteht unter Familienzentren jene Einrichtungen, die in einem sozialen Umfeld passgenaue unterstützende und bildungsförderliche Angebote für Kinder und ihre Familien bereithalten, vermitteln oder bündeln.
Familienzentren sind Begegnungs-, Bildungs-, Unterstützungs- und Erfahrungsorte, die an nachbarschaftliche Lebenszusammenhänge anknüpfen, die elterliche Erziehungskompetenz stärken, Selbsthilfepotentiale von Eltern und anderen an der Erziehung der Kinder beteiligten Personen aktivieren, soziale Netzwerke unterstützen und so nachhaltig die kindliche Entwicklung und das gesunde Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen fördern.
Der Oberbegriff „Familienzentrum“ versteht sich als ein Minimalkonsens. Andernorts heißen Einrichtungen mit vergleichbaren Zielsetzungen „Eltern-Kind-Zentren“, „Kinder- und Familienzentren (KiFaZ)“, „Familienkitas“ oder es werden Kunstbegriffe wie „Kita plus“ genutzt, um deutlich zu machen, dass in diesen Einrichtungen mehr passieren soll als in einer „herkömmlichen“ Kindertageseinrichtung. Aber selbst wenn Einrichtungen sich direkt „Familienzentrum“ nennen, macht der Name alleine nicht deutlich, was sich dahinter verbirgt. Die Einrichtungen unterscheiden sich bezüglich ihrer Zielgruppen, Zielsetzungen und Angebote. Sie sind in Kindertageseinrichtungen oder Familienbildungsstätten eingebunden, haben ein generationenübergreifendes Konzept oder richten sich vor allem an Mütter mit Säuglingen.
Aus diesem Grund hat sich der Bundesverband der Familienzentren für die wirkungsorientierte Beschreibung von Familienzentren entschieden. Maßgeblich ist, dass die Zentren einen passgenauen Mehrwert für Familien[1] schaffen und diese mit in die Planung, Umsetzung und Gestaltung der Angebote einbinden.
Familienzentren im oben genannten Sinne verstehen sich als Koordinationszentren für alle Fragen und Lösungen, die Familien betreffen. Sie stärken Kompetenzen und Selbstwirksamkeitspotentiale von Kindern und Familien und machen sich für ein familienfreundliches Umfeld stark. Ziele von Familienzentren sind die stetige Optimierung der familiären Lebensqualitäten gemessen an gesellschaftlichen und familiären Entwicklungen und die Sicherung individueller Chancen aller Kinder und ihrer Angehörigen bezogen auf Bildung, Ökonomie, Work-life-Balance und Gesundheit.
Familienzentren orientieren sich an den Bedarfen und Interessen der Familien ihres Einzugsgebiets. Damit Kinder von Anfang an von optimaler Familienförderung und –begleitung profitieren, richten sich die Zentren auch und besonders an Familien mit jüngsten Kindern, ohne andere Familien auszuschließen. Eine inklusive Ausrichtung von Familienzentren legt die Grundlage dafür, dass alle Familien sich willkommen und wertgeschätzt fühlen.
Kindertageseinrichtungen sind besonders geeignet, um sich als Familienzentrum weiter zu entwickeln bzw. um ein Familienzentrum daran anzugliedern: in Deutschland besuchen nahezu alle Kinder vor dem Eintritt ins schulische Bildungssystem wenigstens ein Jahr lang eine Kita. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige unterstützt die Möglichkeit, die Bedürfnisse und Bedarfe von Familien in ihrem jeweiligen sozialen Lebensumfeld früh zu erkennen. Kaum eine andere Institution hat so viel regelmäßigen und intensiven Kontakt zu Familien und ihrer Lebenswelt wie Kindertageseinrichtungen.
[1] Siehe Punkt 3: Unter Familie wird hier das auf Dauer angelegte generationenübergreifende Zusammenleben von Menschen verstanden, die füreinander Verantwortung übernehmen.
Familienzentren sind auf dem Land, in der Stadt und für alle Milieus wichtige Anlaufstellen, weil in ihnen Informationen zu Angeboten für Familien zusammenlaufen und vernetzt werden. Sie sind eine zentrale Schnittstelle von Zuständigkeiten, die üblicherweise bei verschiedenen Ämtern und Institutionen angesiedelt sind, z.B. beim Jugendamt, Gesundheitsamt oder Sozialamt, bei der Finanzbehörde, bei der Verkehrspolizei oder beim Kulturverein.
Je nach Einzugsgebiet eines Familienzentrums werden die Angebote unterschiedlich gebündelt. Aufgabe der Zentren ist, Bedarfe und Bedürfnisse der Familien im Sozialraum zu erkennen, aufzugreifen und mit angemessenen Leistungen zu beantworten. Familienzentren im Verbund mit Kindertageseinrichtungen ermöglichen zum Beispiel, dass Eltern berufstätig sein können. Familienzentren vernetzen sich mit anderen Bildungseinrichtungen, zum Beispiel mit Kindertagespflege, und stellen sicher, dass Übergänge von einem Bildungsort zum nächsten gut begleitet sind. Familienzentren kennen auch Dienstleistungsanbieter, die bei Bedarf Familien bei der Bewältigung ihres Familienalltags unterstützen. Und nicht zuletzt schaffen Familienzentren niederschwelligen Zugang zu professioneller Beratung vielfältiger Art (Erziehungs-, Gesundheits-, Arbeits-, Finanz- oder Schuldnerberatung) oder zu pädagogisch-therapeutischen Angeboten für die Kinder wie Frühförderung, Sprachförderung und Ergotherapie oder zu Vereinen wie Sport-, Karnevals- oder Musikvereinen. Weitere typische Themen in einem Familienzentrum sind politische und gesellschaftliche Entwicklungen, Inklusion und Vielfalt und nicht zuletzt die Öffentlichkeitsarbeit.
Eltern und Kinder werden ermutigt, ihre persönliche Entwicklung und Entfaltung und auch ihr Lebensumfeld selbstwirksam und kreativ mit zu gestalten und professionelle Begleitung nach Bedarf zu nutzen.
Das Familienzentrum entwickelt und verändert sich permanent mit den Lebenssituationen und Bedarfen der Menschen im Sozialraum. Es ist kein starres Gebilde, sondern stets am Puls der Familien im Einzugsgebiet.
„Familie“ beschreibt alle Formen eines auf Dauer angelegten, generationenübergreifenden privaten Zusammenlebens. Familie ist sozusagen die Keimzelle jedes Individuums und der Gesellschaft. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass die Familienmitglieder je nach Lebensalter füreinander sorgen und Verantwortung übernehmen. Die Beziehungen in ihr verändern sich im Laufe der Zeit. Und jede Familie trägt die Handschrift überlieferter Familientraditionen, von Religionen und Kultureinflüssen aber auch von sozioökonomischem oder sozialem Status der Familienmitglieder.
Für den Begriff „Familie“ gibt es in der Gesellschaft vielfältige Deutungen und Bilder (vgl. Behnisch, 2014), die jeweils zu bestimmten Haltungen und Interventionen herausfordern; gesprochen wird zum Beispiel von sogenannten Risikofamilien, die Entlastung brauchen würden, von Migrationsfamilien oder von Oberschichtseltern, von „Helikoptereltern“ und vielen Stereotypisierungen mehr.
Behnisch warnt vor dem gesellschaftlichen Leistungs- und Erwartungsdruck, der nicht nur auf Eltern, sondern auch auf Familienzentren lastet.
Von Familienzentren wird vielfach erwartet, dass sie soziale Benachteiligungen ausgleichen und für mehr Bildungsgerechtigkeit in bestimmten Familientypen sorgen. Behnisch appelliert, die gesellschaftlichen und auch die persönlichen Familienbilder kritisch zu reflektieren und stets zu fragen: Was brauchen Kinder, was brauchen Familien wirklich? Welche sozialpolitischen Bedingungen unterstützen Familien, damit sie authentisch und selbstwirksam sein können?
Familienzentren haben nicht den Auftrag, Familien zu verändern, sondern sie anzuregen und zu begeistern für ihre eigenen Entwicklungen und Chancen. Familienzentren schaffen es, die Familien als das zu sehen, was sie sind: ein Beziehungssystem mit vielfältigen, auch wechselnden, Interessen und Potentialen, die sich im Dialog entwickeln und entfalten.
Grundlage für die Gestaltung eines Familienzentrums ist die Zusammenstellung unterschiedlicher Leistungen für Familien, die durch verschiedene qualifizierte Anbieter und spezialisierte Einrichtungen aufgrund einer vernetzten Planung und Konzeptentwicklung erbracht werden. Die Angebote können je nach den Gegebenheiten vor Ort unter einem Dach zusammengeführt oder über mehrere Häuser hinweg vorgehalten werden, so dass Familien sie möglichst fußläufig erreichen können. Die Kooperationspartner, die die Breite der Angebote sicherstellen, bringen ihre Kompetenzen eigenverantwortlich und dezentral ein oder sie integrieren diese in vorhandene Strukturen,
Je nach Standort bieten Familienzentren zum Beispiel folgende Angebote an:
Dass Familienzentren verschieden sind, liegt in der Natur der Sache. Dennoch gibt es einige Merkmale, die Familienzentren von qualitätsvollen Kindertageseinrichtungen unterscheiden. Diesen Merkmalen und besonderen Qualitäten haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 3. Fachtagung des Bundesverbands der Familienzentren e.V. zum Thema „Familienzentren – wer bestimmt, was das ist“ nachgespürt. Die Ergebnisse fließen in die nachfolgenden Positionen und Qualitätsansprüche des Bundesverbands der Familienzentren e.V. mit ein.
Für die Planung und Gestaltung eines Familienzentrums ist – abhängig vom gewählten Strukturmodell und der entwickelten Konzeption – eine Rahmenplanung sinnvoll, die Kontinuität und Nachhaltigkeit der Arbeit sicherstellt. An der Rahmenplanung beteiligt sind alle Akteure, die sich am Familienzentrum aktiv beteiligen und dazu beitragen, Familien angemessen zu fördern. Der Plan dient als Richtlinie. Je nach Veränderungen im Sozialraum bezüglich der Zusammensetzung der Bewohner, baulichen, politischen oder wirtschaftlichen Gegebenheiten können auch Abweichungen vorkommen.
Der Rahmenplan beschreibt auch, welche zusätzlichen Räume, Sachmittel, welches Personal und welche Fortbildungen und Freistellungen durch die Zielvorgaben notwendig sind und von wem sie gewährt werden. Es ist eine allgemeine Erkenntnis, dass ein Familienzentrum nicht mit den Mitteln einer Kindertageseinrichtung oder einer Familienbildungsstätte erreicht werden kann. Es braucht auf jeden Fall zusätzlich Koordinationsmittel, die die inhaltliche und organisatorische Entwicklung und Durchführung sicherstellen.
Der Bundesverband der Familienzentren geht von einem Mehrbedarf von mindestens einer Stelle plus Sachmittel aus. Die Mehrausgaben können als Rückversicherung für spätere Inklusionsleistungen im Sinne eines social return on invest gesehen werden.
Dieser Ansatz ist eine Abkehr von Input orientierten Ansätzen. Er geht davon aus, dass Ziele im Sinne eines Veränderungsmanagementprozesses nur mit den Stakeholdern gemeinsam – hier den Familien oder den Akteuren im Sozialraum – getroffen werden können. Sie bewerten nach einem vorgegebenen Zeitpunkt, ob die getroffenen Maßnahmen und Angebote im Sinne der Zielvereinbarung gewirkt haben. Bezogen auf die Präventionswirkung von Familienzentren kann zum Beispiel indiziert werden, wie stark die Investitionen in junge Familien sich auf die erfolgreiche Bildungskarriere eines Kindes auswirken. Insbesondere interessiert dabei dann der Rückfluss an die öffentliche Hand, d.h. durch Frühprävention eingesparte Investitionen im Jugendalter.
Wenn Kitas sich zu Familienzentren weiterentwickeln, handelt es sich um einen Change-Prozess, der – wie andere Organisationsentwicklungsprozesse auch – begleitet werden sollte. Fortbildungen für Teammitglieder zu unterschiedlichen Themenbereichen (z.B. andere Form der Zusammenarbeit mit Eltern) sind ebenso notwendig wie Teamentwicklungsmaßnahmen, die neue Kooperationsbeziehungen implementieren helfen bzw. interdisziplinäres Arbeiten erleichtern.
Leitungskräfte aus Familienzentren sind vor neue Aufgaben gestellt, die durch Fortbildungen oder Coaching unterstützt werden sollten.
Fazit
Familienzentren fördern eine chancengerechte Entwicklung von Kindern und Familien besonders dort, wo es ihnen gelingt ein zentraler Knotenpunkt im sozialräumlichen Netzwerk zu sein. Ob sie dies sind, entscheidet sich nicht am Namen, sondern an der Qualität des Angebots. Dieses kann so unterschiedlich wie die Sozialräume und die Bedarfe der dort lebenden Familien sein, aber es ist immer auf diese Bedarfe ausgerichtet und entwickelt sich entsprechend den veränderteren Bedarfslagen weiter.
Familienzentren sind Orte der Dynamik und des Wandels. Starre Konzepte oder enggeführte Definitionen behindern den fortlaufenden Entwicklungsprozess. Gleichzeitig ist der Beliebigkeit und der inflationären Verwendung des Begriffs Familienzentrums entgegen zu treten. Wo Familienzentrum draufsteht muss auch Familienzentrum drin sein. Damit dies gelingt bedarf es einer Kultur des Dialogs und des Austauschs.
Familienzentren gibt es nicht zum Nulltarif. Um eine qualitätsvolle Arbeit leisten zu können, braucht es auch Ressourcen. Wer Familienzentren im beschriebenen Sinn will, der muss die Einrichtungen dazu befähigen, diese Arbeit leisten zu können.
Der Bundesverband der Familienzentren e.V. sieht eine wichtige Aufgabe darin, im Dialog mit politisch und fachlich Verantwortlichen die Qualität der Zusammenarbeit mit Familien stetig zu verbessern und die Wirkung der Arbeit von Familienzentren mit den Betroffenen gemeinsam zu evaluieren und gegebenenfalls zu optimieren.
Literatur:
Behnisch, Michael (2014): Aktuelle Familienbilder in der Diskussion: Familien zwischen Abgrenzung und Motivation (Vortrag, Fachtag des Bundesverbandes der Familienzentren, Bielefeld, 11/2014)
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein (Hrsg., 2012): Positionspapier Familienzentren der Leiterinnenkonferenz der Ev. Familienbildungsstätten in Schleswig-Holstein. http://www.diakonie-sh.de/fix/files/doc/Positionierung%20Familienzentren%20Stand%2023.10.12.pdf
An der Positionierung haben mitgewirkt:
Daniela Kobelt Neuhaus, Vorstandsmitglied der Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie, Bensheim, Präsidium BVdFZ
Monika Pause, Vielfarb-Kita gGmbH, Berlin, Präsidium BVdFZ
Martin Quente, Geschäftsführer, Nestwärme, Verein zur Betreuung und Beratung von AIDS-betroffenen Familien, Kindern und Jugendlichen e.V., Präsidium BVdFZ
Evelyn Ulrich, Geschäftsführerin, Verein für ambulante Versorgung Hohenschönhausen e. V., Berlin